Ess- und Küchenkultur im Wandel der letzten fünf Jahrzehnte
Eine kurze Einführung von Marie-Ann Schwenk
Innerhalb dieser Zeitspanne, hatte sich alles in und um die Küchenwelt so stark gewandelt, wie es noch niemals im Laufe der Geschichte, eine vergleichbare Zeitspanne zuvor, dies erlebt hat.
Noch zu Beginn der 50iger wurden mehr als die Hälfte des Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben. Noch zwei Millionen deutsche waren arbeitslos, aber der „Dicke“, wie Ludwig Ehrhard genannt wurde, – und viele unbekannt gebliebene fleißige Hände - schafften das deutsche Wirtschaftswunder. Es ging bergauf! Die Läden füllten sich. Es wurde gekocht, was als typisch deutsch galt und gilt: Gulasch, Rinder- und Kohlrouladen, Königsberger Klopse, Eisbein mit Sauerkraut, Sauerbraten. Ein typisches Essen für einen Kindergeburtstag bestand aus: Kartoffelsalat mit Würstchen, Apfelsaft und Kaltem Hund. Nach dem mageren Nachkriegsjahren mit karger Kost aus Steckrüben, Kunsthonig und Roter Bete, konnte der Sonntagsschweinebraten gar nicht groß und fett genug sein.
In den Jahren, als so etwas, ganz unverständliches, wie Rock´n`Roll aus den USA herüberschwappte, entwickelte sich auch etwas ganz Neuartiges wie „Party-Essen“ aus dem klassischen Fliegenpilz, Toast Hawaii, Gurkenschiffchen und gefüllten Eiern. Damit waren die Hungerjahre endgültig vorbei und spätestens mit dem „Wunder von Bern“1954, war jedem in Deutschland endgültig klar: „Mit uns geht es bergauf“. Dieses Gefühl wurde auf manchen Badezimmerwaagen zur buchstäblichen und bitteren Realität. Mit der Lebensmittelfülle, kamen die ersten Wohlstandbäuche ins Straßenbild.
Nach dem wilden 50iger, schlossen sich die spannenden 60iger an. Gastarbeiter kamen ins Land, weil auf einmal soviel Arbeit in Deutschland da war, wie noch nie zuvor, die Beatles revolutionierten England und die Musikwelt, durch den Mauerbau wurde Deutschland entgültig geteilt und eine ganz eigene Nachkriegsgeneration rebellierte gegen ihre „spießbürgerlichen“ Eltern.
In diesen Jahren eroberten Spaghetti und andere Nudelsorten die deutschen Küchen und machten der bislang unangefochten Beilage Nr. 1, der Kartoffel, eine ernstzunehmende, Konkurrenz. Zunächst orientierte man sich in den frühen 60igern an den französischen Nachbarn und es galt als „très chic“ seine Gäste mit Baguette und Camenbert zu bewirten. Auf exclusiven Partys machte man sogar schon Bekanntschaft mit einer indonesischen Reistafel . Als „normale“ Partyessen waren alle Formen von Salaten sehr beliebt, wie z.B. Kartoffelsalat, Eiersalat, Nudelsalat und Reissalat.
Die eigentliche Küchenrevolution in diesen Jahrzehnts bestand jedoch aus der Einführung von Geräten und Besteck der Klasse „Rostfrei“! Und dermaßen gut ausgestattet, vollzog sich ein selbstbewußter Wechsel in die 70iger Jahre.
Es waren die goldenen „Willy-Jahre“ der Bundesrepublik, bevor die Ölkrise 1974 dem Aufschwung ein jähes Ende setzte.
Im Zuge der Subkulturen, welche die Gastarbeiter ins Land brachten und der immer stärkeren Reisewellen, die die Deutschen zu den Weltmeistern im Urlaub machen krönte, wurde das Essen in Deutschland internationaler. Viele Dorfgaststätten bekamen Konkurrenz von Pizzarien, griechischen und türkischen Restaurants.
Der traditionelle Sonntagsbraten wurde nun nach und nach durch aufkommende Alternativen verdrängt, als da waren „Gefüllte Paprikaschoten“, Rumsteaks und Filet Wellington. So bunt und vielfältig geworden, war es nicht verwunderlich, das sich ein zunächst ganz leiser, sanfter Wechsel zu den Küchen der 80iger vollzogen hat. Aber dann... kamen die 80iger ordentlich in Fahrt!
Die erste Ökowelle rollte durch die Bundesrepublik und Bioläden schossen wie Pilze aus dem Boden. Zwar wurde Hirse und Quinoa weitläufig noch als „Vogelfutter“ gehandelt, aber mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag im Jahre 1983 wurden „das Körnerfutter“ und „die Müsliköpfe“ salonfähig. „Vegetarier“ wurden nun nicht mehr länger für die Bewohner einer Pazifikinsel gehalten, sondern erhielten unter den Bundesbürgern ihren Platz, was sich auch in zunehmenden vegetarischen Gerichten auf Restaurantkarten ausdrückte.
In einem Jahrzehnt, das berufstätige Frauen und Kinderhorte als Selbstverständlichkeit erlebte, wurde die Küche innerhalb der Familie immer mehr zu einem „Stillen Örtchen“. Pizza-Taxi und Außer-Haus-Verpflegung kamen immer mehr und mehr auf und durch die neuartige Mikrowelle ersparte man sich vielerorts das lästige Zubereiten eigener Mahlzeiten. Als in Leibzig bis zu 120.00 Menschen an den Montagsdemonstrationen teilnehmen, fällt endlich die Mauer , die Deutschland seit 1961 teilte. Deutsche konnten sich nun hüben wie drüben an Rotkäppchen-Sekt, sächsischer Bockwurst und den, inzwischen weltberühmt gewordenen, Spreewaldgurken, laben. So vereint, ging Deutschland dem neuen Jahrzehnt entgegen.
In den 90igern rückte die Welt deutlich enger zusammen. Mit Satelittenfernsehen, Internet, Handys, Billigflügen und allerlei neumodischem Schnickschnack wurde das Leben, und auch das Essen, schneller und internationaler. Das Warenangebot erreichte ungeahnte Dimensionen, gab es früher drei Sorten Senf, so war das zehnfache Angebot selbstverständlich geworden. Nicht anders erging es bei Öl, Honig und Säften. Multikulturell war das Stichwort des Jahrzehnts und auch in den Küchen wurden Wraps, Tacos, Wok-Gerichte und Burger-Variationen immer häufiger den klassischen deutschen Gerichten vorgezogen. Heute gehören die meisten BundesbürgerInnen nicht mehr nur einer bestimmten Essensgruppe an und Gourmetessen ist für die meisten durch „Aldi-dente“ erschwinglich geworden.
Im nächsten Jahrtausend werden unsere Lieblingsspeisen wohl nicht mehr die gleichen sein, oder vielleicht doch??? Bestimmt ist nur, dass nichts bestimmt ist. Vorlieben und Veränderungen hängen sehr von der jeweiligen Zeit ab. Zu hoffen ist nur, dass das Essen in der Zukunft bewusst, froh und gesellig gestaltet wird. Da bleibt mir nur noch zu sagen. „Guten Appetit“ auf das 21. Jahrhundert!
Mit zeitlos-kulinarischen Grüßen verbleibe ich Ihre und Eure „Wanderköchin“
Marie-Ann Schwenk
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